Kirchensteuer im Kanton St. Gallen, Freidenker, SVP, FDP und Marie-Theres Huser (12-06-2008)

Kirchensteuer-Motion der SVP-Fraktion im Kantonsrat St. Gallen zurückgezogen

Die Motion zur Abschaffung der obligatorischen Kirchensteuer für juristische Personen von der SVP-Fraktion wurde am 3. Juni 2008, kurz vor der Abstimmung, zurückgezogen.
Am 14. April 2008 hatte die SVP-Fraktion St. Gallen der Regierung diese Motion eingereicht. (…Die Regierung wird eingeladen, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, dass sich künftig juristische Personen freiwillig der Kirchensteuerpflicht unterstellen können…)

Freidenker Vereinigung Schweiz
Die Freidenker unterstützten die SVP-Motion zur Abschaffung der Kirchensteuer (KR Motion 42.08.19) im Kanton St. Gallen. Auch wenn diese formal nicht als solche besteht, fliessen die Steuern der juristischen Personen via Art. 9 StG doch direkt dem Lastenausgleich der Landeskirchen zu.

Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz setzt sich seit 100 Jahren für die Rechte der Konfessionsfreien und für die vollständige Trennung von Staat und Kirchen ein. In der Debatte um die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen, die in den Kantonen immer wieder geführt werden muss, vertreten sie folgende:

Sieben Thesen gegen die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen

  1. Die Bundesverfassung sieht die Besteuerung der juristischen Personen nicht vor, sondern lässt sie zu. So das Bundesgericht, welches die Religionsfreiheit lediglich als Schutznorm für natürliche Personen gelten lässt (BGE 126 I 122). Der Kantonsgesetzgeber kann also eine Kirchensteuerpflicht für juristische Personen statuieren. Diese Beurteilung ist in der Fachliteratur umstritten. Die FVS lehnt sie ab.
  2. Kirchen und religiöse Gemeinschaften verfolgen primär eine religiöse Zielsetzung und erfüllen nicht eine Staatsaufgabe.
  3. Auch eine allfällige Verwendung von Kirchensteuern juristischer Personen für „nicht-kultische“ Zwecke (sog. „negative Zweckbindung“) ändert nichts daran, dass sie nicht dem allgemeinen Haushalt der Gemeinden, sondern allein den Landeskirchen zukommt. Wenn der Kanton die Unternehmen in eine Sozialpflicht nehmen will, dann soll er das über die Unternehmenssteuer und zugunsten des Haushalts tun und nicht über eine Kirchensteuer zugunsten der Landeskirchen.
  4. Das von Befürwortern der Kirchensteuerpflicht regelmässig ins Feld geführte „Profitieren von gesamtgesellschaftlich relevanten Leistungen" durch die Unternehmen ist eine politische Einschätzung aber kein Rechtsgrund für eine Steuer – sonst müsste nämlich jedermann – auch natürliche Personen, die nicht Mitglied de Landeskirchen sind – als Profitierende besteuert werden.
  5. Das Motiv der Befürworter einer Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen ist offensichtlich allein die finanzielle Bedeutung dieser Steuererträge für die Aufrechterhaltung der finanziellen Basis der Landeskirchen.
  6. Verschiedentlich wurde der Wechsel auf eine „freiwillige“ Kirchensteuer gefordert.
    Eine Steuer ist u.E. entweder geschuldet oder nicht, eine „freiwillige Steuer“ ist systemwidrig. (Trotzdem kennen etwa die Kantone NE und GE ein System, in dem die Steuer zwar in Rechnung gestellt wird, die Bezahlung aber fakultativ bleibt.)
  7. Die FVS fordert, dass Kirchen anderen Leistungserbringern gleichgestellt werden.
    Wenn der Kanton Leistungen der Kirchen oder religiöser Gruppierungen für gesamtgesellschaftlich wertvoll erachtet, kann er sie über Leistungsverträge mit den jeweiligen Gruppierungen abgelten, die einer Leistungsüberprüfung standhalten müssen.

Kantonsrats Präsidentin Marie-Theres Huser‘s Versprechen
Ferner muss wieder einmal das Versprechen von Marie-Theres Huser, zu der Zeit Präsidentin des Kantonsrats, vom Sommer 2007 in Erinnerung gerufen werden. Frau Huser hat in einer Internet-Diskussion (Tagblattvote.ch) auf eine Anfrage zur Kirchensteuer für juristische Personen unter anderem folgendermassen geantwortet:

…Ich nehme Ihre Anregung also gerne für einen Vorstoss auf, obwohl bis heute die FDP in andern Kantonen mit der Abschaffung der Kirchensteuer für jurist. Personen leider immer Schiffbruch erlitten hat.

und:

…Einerseits bin ich Baurechts-, aber keine Steuerexpertin und andererseits habe ich in der Kürze nur eine Tabelle über die "gewogene Belastung durch Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern in Prozenten des Reingewinns" (bei 2 Mio Kapital) für 2004 gefunden. Diese betrug bei 80’000 Gewinn 11,89%, bei 160’000 12.04%, bei 400’000 14,63% und bei 1 Mio. 17,13 %.

Am besten lassen Sie sich diese Zahlen von einem Steuerberater geben. Ich werde diese bei der kant. Steuerverwaltung einfordern.

Diese Aussagen von Marie-Theres Huser gaben Anlass zur Hoffnung. Diese Hoffnung ist enttäuscht worden.

Warum hat die SVP die Motion zurückgezogen?
Nach interner Abstimmung hat sich die SVP entschlossen, die Motion zurückzuziehen. Vorher wurden die Kantonsräte von Exponenten der Kirchen unter Druck gesetzt. Die FDP hat (trotz Versprechen von Marie-Theres Huser an mich!) den Antrag der SVP nicht unterstützt: Hier wird klar deutlich, wie wenig ernst es der FDP mit Ihren wirtschaftsfreundlichen Aussagen ist. Eine grosse Enttäuschung für viele St. Galler FDP WählerInnen, denen es mit der Wirtschaftsfreundlichkeit wirklich ernst ist!

Wie geht es weiter?
Im September wird die SVP voraussichtlich ein Postulat einreichen. Das ist ein Auftrag an die Regierung zu einem Bericht über das Thema. Somit werden die Fakten für die Öffentlichkeit auf den Tisch kommen. Ob sich daraus eine Änderung des Gesetzes ergibt? Dafür braucht es eine Mehrheit im Rat.

Websiten zum Thema
Kirchensteuer Kanton St. Gallen (von Jvan Louis)
Ratsinfo.sg.ch (Kantonsrats Motion: Abschaffung obligatorische Kirchensteuer )
Freidenker Vereinigung Schweiz