St. Galler Stadtparlamentarier Martin Würmli (CVP) unterstützt nächtlichen Glockenlärm (03-05-2010)

Nachdem das Amt für Umwelt und Energie in St. Gallen die Stadt-Glocken abstellen wird, wurde dieser Leserbrief im Tagblatt veröffentlicht:

"St. Gallen will künftig den nächtlichen Glockenschlag an verschiedenen Orten in der Stadt abstellen und beabsichtigt einen runden Tisch, um auch die kirchlichen Glocken früher oder später zum Schweigen zu bringen. Dies, weil sich einige wenige Leute rund um die IG Stiller am Glockengeläut stören.
Kirchenglocken.ch  Umfragen zeigen ganz klar: Es handelt sich nicht nur um "einige wenige Leute", die nachts ruhig – also ohne die Weckschläge – schlafen wollen. Umfragen zeigen dass immer mehr Menschen keinen Zeitschlag mehr wollen.

Einmal mehr übergangen wird eine schweigende Mehrheit: Unzählige Leute erfreuen sich nämlich auch an den Stundenschlägen von den Türmen und Türmchen in der Stadt.
Falsch! Eine "schweigende Mehrheit" ist am Glocken-Thema nicht interessiert. Diese Menschen können deswegen auch ohne die nächtlichen Weckschläge problemlos, ja gar gesünder, leben. Es handelt sich auch nicht um "Stundenschläge". Die Glocken werden viertelstündlich geschlagen. Dazu kommt der Dom, der um .10, .25, .40 und .55 die Viertelstundenschläge jeweils nochmals 5 Minuten vorher ankündigt – und dies Tag und Nacht!

Verkannt wird mit dem Entscheid, dass das Glockengeläut nicht in erster Linie Lärm, sondern eine schöne Tradition ist, welche ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur ist. Ihn gilt es zu erhalten.
Eine wirklich schöne Tradition, welche schon seit Urzeiten ein Bestandteil unserer Kultur war, ist die Tradition der Nachtruhe. Wenn das Glockengeläut nicht in "erster Linie" Lärm ist, dann vielleicht erst in zweiter Linie? Nun, auch ‘der Lärm aus zweiter Linie’ ist nachts überflüssig und gesundheitsschädlich: Glockenlärm stellt nachts die zweitstärkste Lärmbelastung überhaupt dar!

Wenn der Leiter des städtischen Amtes für Umwelt und Energie lapidar feststellt, dass die Stundenschläge ihre Funktion als Zeitangabe weitgehend verloren hätten, so hat er zwar recht. Es geht hier aber nicht um die Frage nach Sinn und Zweck der Glockenschläge, sondern darum, ob uns Altbewährtes heute noch etwas bedeutet oder ob wir uns einem Zeitgeist unterwerfen müssen, der keinen Raum mehr für solche Traditionen lässt.
Der moderne Zeitgeist ist gleichzeitig auch ein uralter. Altbewährt ist einzig die Nachtruhe – die war seit Urzeiten da. Die nächtlichen Weckschläge sind eine sehr moderne Erfindung – also alles andere als eine alte Tradition. Und natürlich geht es um den "Sinn und Zweck der Glockenschläge" – um was denn sonst?

Gerade heute müssen wir alles daran setzen, dass auch kleinste Zeichen unseres kulturellen Erbes erhalten bleiben und nicht einfach ohne Diskussion geopfert werden. Ich hoffe deshalb, dass die Stadt ihren Entscheid nochmals überdenkt, damit sich auch künftige Generationen – Touristen wie Einwohnerinnen und Einwohner – an den verschiedenen Glocken St. Gallens erfreuen können. Denn eine lebendige Stadt mit ab und zu einem Glockenschlag vom Waaghaus oder Multertor ist viel attraktiver als eine tote, schweigende – oder eben stille – Stadt.

Martin Würmli (Stadtparlamentarier CVP)"

Das kulturelle Erbe wurde bereits mutwillig zerstört: Die Nachtruhe, die vor der Einführung der viertelstündlichen Weckschläge eine allgemein beliebte Tradition war, wird schon zu lange mit Füssen, beziehungsweise mit Gebimmel, getreten. Touristen haben übrigens am wenigsten Freude am nächtlichen Lärmgewitter, wie folgendes Beispiel eindrücklich demonstriert:

"Es gibt immer wieder und vermehrt Reklamationen von Hotelgästen was das Geläute der Kirchenglocken betrifft.
Unglaublich aber wahr: Kürzlich hat sich ein ausländischer Gast beim Einchecken erkundigt, ob das Zimmer gegenüber der Kirche wäre. Auf die Frage ob er schon mal hier gewesen sei, verneinte er dies und sagte, sein Kollege in Bombay hätte ihn darauf aufmerksam gemacht…!"

(Ein Hotelier aus Wil)

Der traditionsblinde Stadtparlamentarier Würmli ist auch in der CVP/EVP-Fraktion. Ganz offensichtlich verdrängt er aber sowohl das C (Christlich) wie auch das E (Evangelisch): Glockengebimmel ist ein heidnischer Brauch – das Wort "Glocke" suchen wir in der Bibel vergeblich. Von Beruf Anwalt ist es zusätzlich erstaunlich wie Herr Würmli das Umwelschutzgesetz sowie die Lärmschutzverordnung nicht ernst nimmt.

Herr Würmli muss einsehen, dass wir keine Zahnräder sind die im Viertelstundentakt funktionieren. Traditionen besitzen keinen Wert an sich! Sie sind nicht um jeden Preis erhaltenswert sondern unterliegen einer stetigen Entwicklung und Anpassung an die aktuellen Lebensumstände.